Was geschieht bei einer Restaurierung – ein Beispiel

von Eva Bös, Restauratorin in der Buchbinderei Franz Mohr – Restaurierungswerkstatt TUFA

Das Buch mit der Signatur Nq 15/133 hat durch knapp 450 Jahre wirkende Umwelteinflüsse und Benutzung typische Schäden eines auf erhabene Bünde gehefteten und in Leder gebundenen Bandes mit Holzdeckeln und Schließen davongetragen. Neben oberflächlicher Verschmutzung liegt das wesentliche Problem darin, dass sich die Verbindung von Buchblock und Einband fast aufgelöst hat: Der Lederbezug an Rücken und Gelenken ist verlorengegangen, die Heftung gerissen, die durch den Deckel gezogenen Bünde gebrochen.

Der Band enthält Predigten von Johann Herolt genannt Discipulus (Sermones discipuli de tempore et s[an]ctis) und ist 1579 in Straßburg wie zu dieser Zeit üblich auf handgeschöpftes Hadernpapier gedruckt worden. Anschließend hat man die Lagen mit einem Hanf- oder Leinenzwirn auf geschlitzte Lederbünde geheftet und den so hergestellten Buchblock an den drei nicht gehefteten Seiten auf eine einheitliche Größe beschnitten (Kopf-, Fuß- und Vorderschnitt). Vor und hinter den Buchblock wurden Vorsätze aus Pergamentmakulatur geheftet. Da Pergament ein sehr teurer Rohstoff war (und ist!), wurden ausgesonderte Handschriften nicht weggeworfen, sondern bspw. bei der Herstellung neuer Bucheinbände für Vorsätze oder Hinterklebungen weiterverwertet. Der Text auf den Pergamentvorsätzen in diesem Band ist in Hebräisch verfasst und liefert Forschern einen Hinweis darauf, wo das Buch gebunden worden sein könnte.

Der Buchblock aus handgeschöpftem Büttenpapier ist weitgehend intakt: Das im 16. Jahrhundert produzierte Papier ist von äußerst guter Qualität und hat sich bis heute – abgesehen von Schmutzablagerungen am Kopf- und Vorderschnitt und einigen wenigen Rissen und Fehlstellen – sehr gut erhalten. Auch der Einband ist aus strapazierfähigen Materialien (Buchenholz, Kalbsleder, Hanfkordel) gefertigt. Auf dem Rücken zeichnen sich die „erhabenen“ Bünde unter dem Lederbezug ab. Die „Buckel“ aus Holz auf dem Rückdeckel stammen noch aus der Zeit, als Bücher liegend gelagert wurden – sie dienen als Pufferzone zwischen Bezugsleder und Regalboden oder Pult und verhindern so Beschädigungen des Einbands. Die Schließen dienen dazu, die Blätter des Buchblocks eng zusammenzuhalten und so das Eindringen von Schmutz zu verhindern. Als man dazu überging, Bücher stehend in Regalen aufzubewahren, wurden die Schließen oft entfernt, weil die Bände nun sozusagen unter dem natürlichen Druck ihrer Nachbarn stehen und die metallenen Schließenelemente – besonders beim Ausheben und Wiedereinstellen der Bücher an ihren Platz – benachbarte Einbände beschädigen könnten. Wahrscheinlich aus diesem Grund sind unserem hier vorgestellten Exemplar die Schließen auch recht rabiat entfernt worden; auf dem Rückdeckel der Holzdeckel sind an ihrer Stelle Fehlstellen im Lederbezug entstanden und geben den Blick auf den Holzdeckel frei. Auch am Großteil der Ecken ist der Bezug verlorengegangen, das schutzlos offenliegende Holz gesplittert.

An Einbänden dieser Machart ist so gut wie immer der Rücken stark beschädigt, da das Leder damals noch fest mit dem Buchblock verklebt worden ist. Bei jedem Aufschlagen des Buchs gerät der verklebte Bezug unter Spannung, da er sich nicht „ergonomisch“ vom Buchrücken abheben kann. Mit der Zeit bricht er, löst sich ab und geht letztendlich oft ganz verloren. Später begann man deshalb, den Buchrücken „hohl“ zu konstruieren, so dass sich Buchblock und Buchrücken unabhängig voneinander bewegen können.

Jede Restaurierung beginnt mit einer Trockenreinigung des Buchblocks, um lose aufliegenden Schmutz zu entfernen. Die Fälze werden ausgekehrt und Blatt für Blatt – je nach Verschmutzungsgrad die gesamte Fläche oder nur die Seitenränder – mit Ziegenhaarbürste und Latexschwämmen gereinigt. Dabei werden Staubpartikel und Sporen entfernt, die zum einen gesundheitliche Auswirkungen auf die Benutzenden haben können, zum anderen Feuchtigkeit und Bakterien anziehen, die unter Umständen zu weiteren Schädigungen des Bandes führen. Der ästhetische Effekt ist untergeordnet. Anschließend können Fehlstellen und Risse mit Japanpapieren verschiedener Grammatur (von ca. 4 bis 40 g/m2) und Weizenstärkekleister geschlossen werden.

Im nächsten Schritt wurden die Pergamentspiegel vom Deckel gelöst: Eine dem Material Gore-tex ähnliche Membran wird aufgelegt, darauf ein feuchter Filterkarton platziert, das ganze mit einer Folie abgedichtet und leicht beschwert, damit die Feuchtigkeit gleichmäßig auf die Fläche dringt. Bis der tierische Leim, mit dem die Spiegel verklebt worden sind, angequollen ist und sich das Pergament mithilfe eines Spatels vorsichtig lösen lässt, kann schon mehr als eine Stunde vergehen. Die Methode erlaubt aber eine kontrollierte, schonende Befeuchtung, so dass das empfindliche Pergament und die Schreibmittel nicht angegriffen werden. In der Zwischenzeit kann an anderen Objekten gearbeitet werden.

Die breiten, geschlitzten Lederbünde, auf die der Buchblock geheftet worden war, sind im Laufe der Zeit versprödet und in den Gelenken gebrochen, nur noch die Kapitale verbinden den Deckel mit dem Buchblock. Zur Rekonstruktion der verbindenden Elemente wurden Pergamentstreifen zugeschnitten, entlang der Bundfragmente von innen durch die Deckel gezogen und mit Gelatine verklebt. Danach musste zunächst der Rücken weiterbearbeitet werden.

Zunächst wurde das Fragment des originalen Lederbezugs mit einem Spatel abgehoben, anschließend die Leder- und Klebemittelreste nach Einwirken von Kleisterkompressen Schicht für Schicht abgenommen. Nur so konnte der Rücken wieder neu geformt und abgeleimt werden. Für eine erste Befestigung der Deckel wurden diese sorgfältig auf dem Buchblock positioniert und die durchgezogenen Pergamentstreifen hinter den originalen Lederbünden auf dem Buchrücken mit Hausenblase (Klebstoff, der aus der Schwimmblase des Störs gewonnen wird, einen hohen Collagenanteil hat und sich deshalb sehr gut für Pergament eignet) verklebt. Zur Stabilisierung der wiederhergestellten Rundung und der Verbindung zwischen Buchblock und Buchdeckeln wurde anschließend die Hinterklebung erneuert, das heißt Japanpapierstreifen mit starker Grammatur (ca. 60 g/m2) zwischen die Bünde geklebt und diese wiederum auf der Innenseite der Buchdeckel befestigt.

Die Heftung war am Anfang des Buchblocks gerissen, sodass Heftfaden angeknüpft und die ersten beiden Lagen unter Nachahmung der originalen Hefttechnik neugeheftet werden mussten. Dabei wurden auch die „überbrückten“ Bünde umschlungen, sodass eine weitere stabilisierende Verbindung zwischen Einband und Buchblock entstanden ist.

Um die beschädigten Ecken des Holzdeckels zu ergänzen, wurde eine pastenartige Spachtelmasse angerührt, die Cellulosefasern, Bärlappsporen (Lycopodium clavatum) und Gelatine enthält. So entsteht eine gut modellierbare, elastische, durch die Gelatine aber in ausgehärtetem Zustand sehr feste Paste, die sich gut in die Zwischenräume des Holzdeckels pressen lässt und mit der kleinere Fehlstellen rekonstruiert werden können.

Der Rücken wurde dann noch mit einer Hülse versehen. Dazu wird ein Japanpapier in der Höhe des Rückens und seiner dreifachen Breite zugeschnitten, jeweils von den Seiten her entlang der Höhe gefaltet und so verklebt, dass eine papierne Röhre in der Breite des Buchrückens entsteht. Die Hülse wird auf den Rücken geklebt und für den Trocknungsvorgang abgebunden, damit die Bünde wieder hervortreten. Dabei ist darauf zu achten, dass sie nicht am Kopf- und Fußende zusammenklebt. Sie dient dazu, den neuen Lederbezug mit dem Rücken zu verbinden und erlaubt dennoch, dass er sich beim Öffnen des Buchs frei bewegen kann.

Für die Ergänzung der Fehlstellen im Lederbezug wird vegetabil gegerbtes, naturfarbenes Rindsleder verwendet, das an den originalen Lederfarbton angenähert mit speziellen Lederfarben für die Restaurierung eingefärbt wird. Die passgenau zugeschnittenen Stücke müssen mit dem Schärfmesser besonders an den Stellen, wo das ergänzte Leder unter das angehobene Originalleder gezogen wird, ausgedünnt werden, um einen möglichst ebenen Übergang zu schaffen.
Der so vorbereitete Ledernutzen wird mit Weizenstärkekleister angeschmiert, auf dem Rücken platziert, mehrfach befeuchtet und so lange in Form gezogen und mit dem Falzbein entlang der Bünde bearbeitet, bis er sich wie gewünscht angeschmiegt hat. Damit diese Form erhalten bleibt, wird der Nutzen mit glattem, dickem Zwirn abgebunden, dieser gespannt und mit Sandsäckchen, unter die Filterkartons platziert wurden, beschwert. Nun muss die Formung etwa einen Tag trocknen.

Nachdem die Einschläge an Kopf und Fuß des Rückens verklebt und damit die Häubchen geformt sind, werden alle angehobenen Bereiche des originalen Bezugs zurück- und das originale Bezugsfragment aufgeklebt. Anschließend erhält das Buch eine Bandage, damit alles schön gleichmäßig anliegt.

Das fertige Ergebnis:

Um einen Einblick in die zahlreichen Aspekte der Bestandserhaltung zu erhalten, möchte ich an dieser Stelle den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung „Restaurieren nach dem Brand – Die Rettung der Bücher der Herzogin Anna Amalia Bibliothek“ (2014) empfehlen.